Die Mensur

Kein Bereich des burschenschaftlichen Lebens wird von Unwissenden derart verzerrt und falsch dargestellt wie das studentische Fechten Vom Aufschlitzritual, Salz und Pferdehaar in den Wunden, am Sessel angebundenen Studenten, denen sadistische Kollegen Schnitte im Gesicht zufügen und ähnlichen Schauermärchen ist hier immer wieder zu hören und zu lesen. Mit der Wirklichkeit haben derartige Geschichten freilich nichts gemein.

Das Mensurfechten wird seit Generationen mit nahezu unveränderten Regeln von allen schlagenden Korporationen als studentisches Kulturgut erhalten. Im übrigen ist der Ausdruck schlagende Burschenschaft ein Pleonasmus, da in Österreich von sämtlichen B!B! Mensuren gefochten werden.

Das studentische Fechten ist bis ins Detail reglementiert im Paukbrauch (Fechtkomment - dieser umfasst über 100 Paragraphen), wobei jede Hochschulstadt ihren eigenen Paukbrauch hat, die einzelnen Regelwerke jedoch nur unwesentlich voneinander abweichen. Gefochten wird mit Korbschlägern, einer Waffe, die eine etwa 85 cm lange und mindestens 1 cm breite, beidseitig geschliffene Klinge aufweist und die Hand durch einen Metallkorb schützt.

Im Unterschied zum Sportfechten wird beim Schlägerfechten lediglich der waffenführende (meist also der rechte) Arm bewegt. Die zwei Paukanten stellen sich in einem festen Abstand von etwa einem Meter (dem Mensurabstand) gegenüber auf. Links vom Paukanten steht jeweils der Sekundant, rechts der Testant. Geleitet wird die Mensur von einem Unparteiischen, der keiner der zwei fechtenden B!B! angehören darf. Hier soll auch ein weitverbreitetes Missverständnis ausgeräumt werden: Mitglieder ein und derselben B! fechten natürlich niemals miteinander! Es wird immer mit einem Mitglied einer anderen Korporation gefochten. Der Paukant trägt ein Schutzgewand aus Leder oder Kevlar; der waffenführende Arm ist dick bandagiert und durch einen Lederstulp geschützt, ein Kettenhandschuh ist vorgeschrieben. Der Halsbereich ist durch mehrlagige Seiden- oder Lederbandagen bis zum Unterkiefer bedeckt, über die Augen wird eine Eisengitterbrille gespannt. Der Kopf und das Gesicht bleiben als ungeschützte Trefferfläche frei.

Die Mensur selbst ist in Gänge unterteilt. Ein Gang wird durch das Kommando der beiden Sekundanten bestimmt. Auf das Kommando "Auf die Mensur" wirft der, rechts vom Paukanten stehende Testant, der zwischen den Gängen und in den Pausen den fechtenden Arm stützt, diesen in die Auslage. Als Auslage bezeichnet man jene Haltung, in der der Fechter den Arm über den Kopf legt, wobei der Korb nach links oben gehalten wird und die Klinge in einem Winkel von etwa 45 Grad nach vorne unten weist. In idealer Auslage ist der Paukant vollständig geschützt. Nun erfolgt vom Gegensekundanten das Kommando "Sie liegen aus", worauf der erste Sekundant "Los" ruft. Nach "Los" hat jeder Paukant vier Hiebe zu fechten, wobei nach dem vierten Hieb die Sekundanten sich zwischen die Fechtenden stellen und den Gang mit einem "Halt"-Ruf beenden.

Die Hiebe werden aus dem Handgelenk und dem Unterarm gefochten, wobei von den Paukanten versucht wird, auch während des Fechtens der Hiebe die Deckung aufrecht zu erhalten. Parieren gibt es bei dieser Art zu fechten nicht. Das Risiko, getroffen zu werden, bestimmt jeder Paukant selbst; je gewagter er seine Hiebe ficht, desto größer ist die Möglichkeit, den Gegner zu treffen, aber auch selbst getroffen zu werden.

Besonderen Wert wird auf eine tadellose Stellung des Paukanten gelegt. Nur der fechtende Arm darf bewegt werden, ansonsten ist in ruhiger, aufrechter Haltung zu verharren. Übermäßiges Bewegen des Oberkörpers, Zurückneigen oder gar Ausweichen vor Hieben wird vom Unparteiischen geahndet und führt zum sofortigen, vorzeitigen Ende der Mensur. Darüber hinaus kann eine Mensur auch durch andere Inkommentmäßigkeiten (z.B. Schlagen unerlaubter Hiebe, Parieren, etc.) vorzeitig beendet werden. Stellt der Unparteiische schwerwiegende Inkommentmäßigkeiten fest, wird das vorzeitige Ende der Mensur durch Erklärung der "Abfuhr" durch den Sekundanten des betroffenen Paukanten herbeigeführt.

In aller Regel werden derartige Mensuren vom Mensurconvent der B!, der die Fechtleistung des Paukanten anschließend bewertet, nicht genehmigt. Hierdurch wird festgestellt, daß der Paukant den Anforderungen nicht entsprochen hat.

Ein vorzeitiges Ende findet die Mensur auch, wenn einer der Paukanten mehrere schwere Schmisse bezogen hat und der anwesende Paukarzt (der "Bader") feststellt, daß ein Weiterfechten nicht mehr möglich ist. Derartige Mensuren werden in aller Regel vom Mensurconvent genehmigt. Die Schmisse werden anschließend an Ort und Stelle vom Bader (meist ein Alter Herr der eigenen B!) nach dem neuesten Stand der Medizin, jedoch ohne Lokalbetäubung, genäht.

Endet eine Mensur nicht vorzeitig, so wird sie "ausgepaukt", daß heißt, es werden 40 Gänge gefochten. Es kommt auch vor, daß keiner der beiden Paukanten einen Schmiß bezieht. Nach dem Ende der Mensur trennen sich die Paukanten mit Handschlag und bleiben, aufgrund des gemeinsamen Mensurerlebnisses, einander häufig in Freundschaft verbunden.

Das Hauptziel einer Mensur ist also keinesfalls der Erfolg im Sinne des sportlichen Sieges, sondern das Erbringen einer bestimmten erwarteten Leistung unter äußersten Bedingungen. Die häufig gestellte Frage nach Sieger oder Verlierer einer Mensur kann also nicht beantwortet werden.

Um die vorgenannte Leistung erbringen zu können, hat jeder Aktive täglich vom Montag bis Freitag eine Stunde zu trainieren. Kraft und Technik werden unter Anleitung eines erfahrenen Inaktiven in der Paukstunde verbessert, wobei jede B! die ihr eigene Art zu fechten, ihre Fechtschule, über Generationen weitergibt und entwickelt. Da das Fechten einer Mensur ein erhebliches Maß an Kraft, technischem Können und innerer Stärke erfordert, ficht ein neues Mitglied frühestens nach anderthalb bis zwei Semestern Paukunterricht seine erste Mensur.

Grundsätzlich sind bei allen B!B! zwischen zwei und vier genehmigte Mensuren Voraussetzung zur Inaktivierung. Im Bestreben, auch auf dem Paukboden zum Ansehen der eigenen B! beizutragen, fechten viele Burschenschaften jedoch weiter Mensuren.

Zusammenfassed ist festzustellen, daß die Mensur ein wesentlicher und sinnvoller Bestandteil des Lebens jeder B! ist. Über den Zweck Mitläufer auszusieben hinaus, ist sie Mittel zu körperlicher Ertüchtigung. Sie schult den Charakter eines jungen Mannes, der Leistungen unter extremen Bedingungen zu erbringen hat. Dabei wird ihm aufgezeigt, wie unerläßlich es ist, sich auf wichtige Ereignisse gewissenhaft vorzubereiten. Der streng reglementierte Ablauf der Mensur zwingt den Paukanten, auch in schwierigen Situationen ein Höchstmaß an Ritterlichkeit und Selbstdisziplin zu wahren. All dies macht die Mensur zu einem geeigneten Mittel der Selbsterfahrung.

Die Tatsache, daß Mensuren auf die Farben ("im Namen") der eigenen B! gefochten werden, stärkt darüber hinaus das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Bundesbrüdern. Das gemeinsame Erlebnis, den Bundesbruder genau in jener, mitunter schwierigen Situation begleiten zu können, in der man auch selbst mehrmals stand, um ihm dabei jene Unterstützung zuteil werden zu lassen, die man selbst einmal benötigte, ist der eigentliche Schlüssel, der jeden Generationsunterschied, jeden Unterschied des Standes überwindet.

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